Nahteufelerfahrung

[Für Eilige gibt’s am Ende dieses etwas längeren Textes eine Zusammenfassung.]

Am Kornmarkt in der Nürnberger Innenstadt gibt es ein kleines Café namens Treppenhauslounge. Es wird betrieben vom CVJM, dem Christlichen Verein Junger Männer Menschen, welcher der deutsche Ableger des YMCA, der Young Men’s Christian Association, ist. In der Treppenhauslounge arbeiten junge Leute in wechselnden Besetzungen, sie kommen von überall auf der Welt her und sind in ihrem jeweiligen Herkunftsland Mitglied des dortigen YMCA-Ablegers. Gelegentlich bin ich nachmittags Gast in diesem Café, meist alleine, und nur so, um zwischendurch geschwind eine Tasse Kaffee zu trinken.
Eine Beobachtung, die ich bei diesen Besuchen immer wieder mache, möchte ich hier niederschreiben:
Oft wenn ich die Treppenhauslounge am Kornmarkt betrete, machen die MitarbeiterInnen hinter der Theke so einen seltsamen Eindruck. So als würde ihnen plötzlich eiskalt ums Heil, als umklammerten sie bei meinem Eintreten geschwind den Rosenkranz in ihrer Hosentasche so fest, daß die Fingerknöchel weiß hervortreten, ja als zögen sie augenblicklich ihren Bußgürtel fester, auf daß er seine Stacheln noch tiefer ins Oberschenkelfleisch treibe.
Sie wirken dann, als fürchteten sie in meiner Gegenwart die Anwesenheit des Leibhaftigen. Sie scheinen, als glaubten sie ihn fast zu spüren, den großen Verwandler, den Verführer, das Große Thier, das alle ins Dunkel zu locken trachtet – zu spüren als eisigen Hauch, der ihnen vom Nacken aus beckenwärts schießt.
Während sie den Kaffee zubereiten und dann kassieren, scheinen sie, als sagten sie innerlich hastig Ave-Marias auf, und zwar auf Latein. Angekommen beim Amen: wiederbegonnen beim Ave, und so in einem fort. Äußerlich ist ihnen das fast nicht anzumerken, aber ihre Augen wandern kaum merklich unruhig hin und her, so als läsen sie die Zeilen des Gebets vom Blatt.
Verlasse ich das Café wieder, ohne daß jemand hinabgerissen wurde ins Fegefeuer (z.B. wegen heimlichen Sex‘ vor der Ehe, dem elterlichen Kamin und der Hauskatze), wirken sie sogleich erleichtert. Die Erleichterung entspringt dann dem Glauben, erfolgreich einer Prüfung widerstanden zu haben. Der mit meinem Eintreten heraufgezogene Schatten verschwindet, die plötzlich die Sonne verdunkelnden Unwetterwolken lichten sich, das Licht des Herrn bricht wieder in den Laden. Die Nahteufelerfahrung ist überstanden.

Und die verstummten Vögel singen wieder ihr fröhlich Lied.

[Hier gibt’s jetzt gar keine Zusammenfassung. Das wäre ja, als schöbe man einen ganzen Leberkäse in den Backofen, büke ihn, schnitte ihn in Scheiben, äße dann aber nur die beiden Endstücke und würfe den Rest unverdaut in den Mülleimer. – Wir sind hier schließlich nicht bei Spiegel Online oder einem von seinen Epigonen. Guten Abend.]

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