Medea, Zauberin in der griechischen Mythologie und »Trumm von einem Weib« (Zeitzeugen), regt sich mords auf, weil ihr Ehegatte, der Argonaut Jason, sie verstoßen und König Creos Tochter Crëusa heiraten will, um die Macht in Korinth zu erlangen. Und das, obwohl Medea Jason dabei behilflich war, das Goldene Vlies zu stehlen, und extra für ihn bei der Rückkehr nach Griechenland allerhand Unschönes beging, um ihn vom Markt heiraten zu können (u.a. Tötung und Zerstückelung ihres eigenen Bruders; Königstöchter listig dazu bringen, den eigenen Vater zu zerstückeln und aufzuessen).
Medeas Amme versucht, sie zu beruhigen und legt ihr, weil sie Medeas unbändige Rachegelüste für sinnlos und zum Scheitern verurteilt hält, nahe, am besten alles liegen und stehen zu lassen und zu verschwinden. Was der Amme jedoch gar nicht zu gefallen scheint und was Medea nach ihrer Ansicht nicht einfach so liegen und stehen lassen sollte, ist Medeas Garten –, weshalb die Amme mitten im Gespräch folgenden Tadel austeilt:
[…]
Amme: Hemm deines Rasens Drang, / mein Kind: es schützt verschwiegene Ruhe dich ja kaum.
Medea: Die Tapferen scheut, die Feigen bändigt das Geschick.
[…]
Freilich gerät der Tadel etwas dunkel (ist Medea doch ihre Herrin und kann zaubern), man fragt sich sofort: Was meint die Amme hier? Soll Medea ihren Rasen nun mähen, soll sie ihn einfach nicht mehr düngen oder – etwa gar vergiften? Und warum reagiert Medea so gar nicht auf den Einwurf der Amme, sondern wendet sich uneinsichtig dem offensichtlich wild wuchernden Feigenbaum zu, dem die Äste zu kürzen Medea anscheinend ebenfalls zu faul ist und den sie daher ganz seinem Schicksal anheimstellt, was dem doch gar nicht schlecht bekäme? Statt zu gärtnern oder auch nur angemessen auf ihre Amme zu reagieren, bezeichnet Medea sich selbst noch als »Tapfere«! – mögen die Nachbar/innen doch kommen und sich über meinen Kraut- und Rübengarten beschweren, kommen die eben auch mit ins Feigenmus!, scheint sie in ihrem Furor zu denken.
Kein Wunder, daß Jason diese Runkelhexe am liebsten außer Landes sähe und statt ihrer lieber Creos Tochter Crëusa zur Frau haben möchte!
(Zitat: L. Anneus Seneca: Medea, Lateinisch/Deutsch, übers. u. hrsg. von Bruno W. Häuptli, Stuttgart: Reclam 1993, V. 157–159.)