1.3. Lese einen Artikel über unzufriedene LehrerInnen. Dabei fällt mir auf: Der Ausdruck «Verbeamtete» ist nur ein überschüssiges «te» entfernt von Star-Trek-Crewmitgliedern, die aus Versehen an einen falschen Ort gebeamt wurden.
2.3. Am Spätvormittag frißt mich plötzlich die Erkenntnis an, daß ich den ‹Traum vom Eigenheim› bislang nicht verwirklicht habe. Ich wache noch immer im Fremdheim.
3.3. Morgens Mitgefühl mit dem Triebfahrzeugführer des Regionalexpreß, dessen Einfahrt in den nächsten Bahnhof sich laut seiner Durchsage wegen Überholung durch einen verspäteten ICE um wenige Minuten verzögert. Kein Mitgefühl mit auch nur einem einzigen der anderen Fahrgäste.
4.3. Die Dichter des Barock dichteten bekanntlich gern über Vergänglichkeit, Tod, Schmertz, Kranckheit, Noth und ähnlich Desparates. («Laaangweilig!») Aber gab es unter den Barockdichtern auch lustige Kerls? Dachte sich beispielsweise ein Andreas Gryphius, als er 1637 sein Sonett ‹Es ist alles eitel› verfaßte: «Es ist alles Eiter, harharhar!»?
5.3. Mittelguter, aber treffender Gameshowuntertitel, 23 Jahre zu spät: ‹Jeopardy – Der Lösung Rätsel›.
6.3. Abends in der U-Bahn unterhalten sich neben mir zwei DB-Mitarbeiter. Eine Äußerung bleibt hängen: «Der größte Störfaktor ist der Fahrgast.»
7.3. Kurz nach 9 Uhr morgens. Schiebe schlechtgelaunt mein Fahrrad über den Nürnberger Hauptmarkt. Es ist kalt und nieselregnet mir ins Gesicht. Plötzlich hält mich eine asiatische Touristin an und fragt für ihre Freundin, «if she can take a picture with you?» «Yes, why not?», weltmenschle ich tolerant-crazy-offen. Weil sie das «not» wohl überhört, schiebt sie nach: «Because your eyes are so beautiful!» – Als das Photo im Smartphone ist, wünsche ich noch einen «nice day!» und denke, nachdem mein Verstand das innervierend-süß duftende Beet der oasenhaft glühenden Blümelein des Geschmeicheltseins wieder verwüstete: «Na toll, irgendwo in Asien masturbiert frau sich bald die Finger fußlig…»
8.3. Liebgewordene Marotte: Socken muß ich, wenn ich sie tagsüber kurz ausziehen mußte, beim Wiederanziehen unbedingt wieder genau so anziehen. Zuerst die linke auf den linken Fuß und dann die rechte auf den rechten. Wenn’s nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm. Das leichte Unbehagen und die Furcht vor bad fate verfliegen meist schnell.
9.3. Verschicke Einladungen zum Verweilen. «Bist du jezt ein ort du spast??» ist die gröbste, aber immerhin persönlichste Absage. Die schäbigsten sind die fünf «Vielleicht» und die drei Doppelhäkchen.
10.3. Versuche, die oft gelesene, nie erlebte «ohrenbetäubende Stille» zu erfahren. Nichts – sie will und will sich nicht einstellen. Liegt es an mir?
11.3. Kneipenalptraum Nürnberg City: Furniergaststätten so weit die Sinne reichen. Preßspan, den der Holzwurm verschmäht. Verblendung des Verblendungszusammenhangs. Die wenigen Vollholzkneipen sind, samt Gästen, einladend wie H.R.-Giger-Poster. Also heim.
Früher am Abend Besuch im multigeschossigen Kinokomplex. An der Snackbar: Smartphonekasse. Das heißt: bestellen und bezahlen per App. Aufforderung zur Warenabholung per Nummernanzeige. Snackkauf ohne Humankontakt. Vorteil: Man schämt sich nicht so sehr für die Gönnung von 1,5 l Coke und der Großfamilienportion Tortillachips.
12.3. Diffuser Wunsch nach Satisfaktion.
13.3. Denjenigen Leser*innen des Salon du Fromage, die sich über die hiesige, mitunter seltsame Interpunktion und die Verwendung der alten Rechtschreibung wundern, möchte ich ungefragt ein abgewandeltes Wort Bertolt Brechts aufdrängen: «Ego, poeta Germanus, supra orthographiam et interpunctionem sto.» Und eines von Jesus: «Ich bin der Weinstock und der Inhalt u n d die Form. Ihr seid die Reben und Rezipient*innen.»
14.3. Vormittags kette ich vorm Salon du Fromage die Stühle ab. Eine Frau rauscht aus der Seitenstraße und erwischt einen jungen Mann, der auf dem Radweg quert, am Hinterrad. Sie steigt erschrocken aus, entschuldigt sich und fragt, ob ihm etwas passiert sei. Nein, ihm fehle nichts, alles nochmal gutgegangen, versucht er die merklich mitgenommene Frau zu beruhigen. Sie gibt ihm ihre Nummer, für den Fall, «daß du doch was merkst, wenn der Schock vorbei ist, und falls was am Fahrrad ist.» Als sie beiläufig erwähnt, es sei das Auto ihres Freundes, wird er deutlich ungemütlicher. Ihr beschwichtigend-entschuldigendes «Ich fahr hier j e d e n Tag raus und schau i m m e r!» quittiert er mit «Ja dashabichgemerkt…» und bösem Blick, hängt sich seine Freitag-Tasche schräg über die Brust und fährt davon.
15.3. Pseudophilosophischer Unfug: Die einzige erstrebenswerte Unabhängigkeit ist diejenige vom Geschlechtstrieb. Selbst darüber entscheiden können – wahre Freiheit des Willens.
(Offenlegung: Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine bescheidene Hommage an Heinz Strunks allmonatlich in der TITANIC erscheinendes fiktionales Tagebuch Intimschatulle (Profi-Salon du Fromage-LeserInnen erkannten das freilich schnell). Heinz Strunk forderte mich dazu allerdings, sei’s nolens sei’s volens, auch auf, wie dieser Beitrag von neulich beweist.)