Musique rapide et violente

Ich, am Abend des 22.3.2018 mit Großmutter telefonierend: «Also, ich muß jetzt leider los.»
Großmutter: «Na freilich, dann will ich dich nicht mehr aufhalten. Was machst du denn noch?»
I: «Mit Freunden auf ein Konzert gehen.»
G: «So, wer spielt denn?»
I: «Ach, kennst du glaub ich nicht, sind aus Brasilien.»
G: «Aus Brasilien? Na, da bin ich gespannt, was du an Ostern davon zu erzählen hast!»
(Gespräch nicht ausgedacht, nur ins Standarddeutsche übersetzt.)

Ostermontag, Dorfwirtschaft Zur Linde, Familienessen: Hey Oma, also die brasilianische Band, auf deren Konzert ich am 22. März war, war Sepultura. Das ist portugiesisch und heißt ‹Grab›. Die hatten letztes Jahr eine neue Platte veröffentlicht und sich anläßlich dessen gedacht: raus aus’m Favela, rein in VW-Bus und ab geht’s um die Welt. Womit sie alles andere als verkehrt lagen: der Hirsch war ausverkauft. Und das, obwohl sie ja seit zwanzig Jahren nicht mehr ihren ‹eigentlichen› Sänger Max Cavalera haben, den Blanka (Street Fighter II) unter den Metalsänger/innen, der Bandklassiker wie Refuse/Resist, Rattertattertatter, Quatsch: Ratamahatta oder Roots Bloody Roots eingebrüllt hatte und mit dem die Band ‹Kult› geworden war.
Den aktuellen, Derrick Green, fand ich aber auch sehr gut. – Nein, Oma, der TV-Kommissar heißt ja Derrick mit Nachnamen. – Der Green jedenfalls: Eine Statur wie Shaquille O’Neill, ein regelrechter Hüne: garagentorbreite Schultern, maibaumdicke Oberarme und den Kopf fast unterm Hallendach. Aber wegen seiner Zahnlücke auch irgendwie putzig.
Was ich nicht ganz verstanden hab: Warum er mit einem Sepultura-Shirt auf der Bühne stand. Das find’ ich bei Konzertbesucher/innen schon immer seltsam. Denn die Leute können sich ja denken, daß man z.B. Sepultura gut findet, wenn man auf ein Sepultura-Konzert geht. Wir sind ja nicht beim Fußball, wo man sich tunlichst von den Gegnern abgrenzt. – Was? Ach so, ja, da hast du wieder recht, Oma: Die Leute wollen ja auf dem Weg zum und vom Konzert als Fans erkannt werden. Aber der Sepultura-Sänger selbst? Der wird doch sein wasserschweres Shirt nach der Show eh wegschmeißen, weil den ganzen Schweiß kriegst du ja nie wieder raus. Sei’s drum. Kennst du eigentlich schon meine liebste Speech-Metal-Band? Stehpultura, hehe.

Sepultura, Belo Horizonte (BRA). «Nenn mir einen großartigen Song, den sie geschrieben haben, nachdem ich gegangen bin!» (Max Cavalera, Ex-Sepultura)

Die Vorbands waren übrigens auch nicht übel. Die Landshuter Obscura z. B. spielen Technical Death Metal, schauen aber aus, als könnten sie keiner Schwiegermutter etwas zuleide tun. Überhaupt: Mit ihren Longsleeves hatte ich eher den Verdacht, daß sie sich lieber selber was antun. Üben bis zum Umfallen tun sie sich jedenfalls allem Anschein nach an. Blitzestsauberste Fingerhaltungen! Der Leadgitarrist schien, dem Sound nach zu urteilen, an der Griffbretthand acht Finger zu haben. So mords-streberhaft hatten sie auch viel zu viele Saiten drauf. Der Bassist zumindest, mit seinen ~sechs~ Stück. Wenn du die beiden Siebensaiter von den Gitarristen dazu zählst, standen rein saitenmäßig fast sieben Punkbands auf der Bühne.
Mittendrin spielten sie auch polyrhythmisch, so als hätte ein jeder ein anderes Lied angefangen. Zusammengepaßt hat’s trotzdem, auch wenn du einen Mathematiker brauchst, um draufzukommen, wie. Prima Songtitel hatten die überdies, z. B. Anti-cosmic Overlord, und in einem Song schien der Sänger die Leute zum «Schiifoan!» aufzufordern. In ~dem~ Ton würde ich seiner Aufforderung allerdings niemals nachkommen. Wo ich doch Wintersport eh für die höchste Form des Einverstandenseins halte.

Obscura, Landshut. Strebi-streb-streb

Goatwhore aus Louisiana hätten dir jetzt vielleicht nicht so gefallen mit ihrer Death-/Black-Metal-Mischung. Lustig hättest du vielleicht den Sänger gefunden: Statur wie der Undertaker aus der WWF, Haare bis zur Arschkrampe, Vollbart – und dann bei Instrumentalparts Luftgitarre, daß du gedacht hast, er würde wichsen. Geschickt war sein Stage-acting: Wenn er etwas Wichtiges sang, zeigte er immer mit dem Zeigefinger auf, und wenn er zum Nachdenken anregen wollte, tippte er sich an die Schläfe. Wenn ich nur etwas von dem Geröhre verstanden hätte!
Verstanden hab ich immerhin eine Ansage des Bassisten: Er widmete ein Lied irgend einem «fallen brother» (wir sind schließlich unter Waffenbrüdern, da stirbt keiner, sondern die Brüder fallen). Er vermutete, der brother würde in der Hölle brennen (glaub, das war lieb gemeint), weswegen das ihm gewidmete Lied recht passend war: Fucked by Satan.

Goathwhore, Louisiana. Bester Songtitel: Fucked by Satan

Die erste Band, die haben wir leider verpaßt, weil wir lieber im Nebenraum an der Bar ratschten. Aber das war eh bloß so Deathcore-Zeug mit Verbalphrasennamen für die jungen Leute, die eigentlich gar nicht anwesend waren. Schließlich sind Sepultura schon ziemlicher «Fucking Opa Shit» (Max Goldt, in anderem Zusammenhang). – Was? Ach so, ja, gute Idee, holen wir uns ein Stück Osterlamm, bevor alles weg ist. Ich nehme den Kopf.

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