De profundis – das Facebbatical-Tagebuch (5)

09.07., Tag 12: Buchidee: «Die Gesellschaft, die aus dem Fenster stieg und immer dümmer wurde – Wie wir am schnellsten komplett verblöden, um solchen Unfug nicht länger ertragen zu müssen».
Notiz an mich (hähä, an wen sonst): Bei Suhrkamp nachfragen, ob die das in der ‹edition unseld› verlegen würden; wenn ja, mit Schreiben beginnen.

10.07., Tag 13: Sternstunden des U-Bahn-Infoscreens: «61% der deutschen Frauen finden den Vornamen ‹Alexander› sexy.» Liebe Grüße, A. Lugauer
PS: Sex und -lex-, das ist ja jetzt auch nicht soo weit auseinander.

11.07., Tag 14: Guter Slogan für die städtische Sauna: «Sauna und doch so fern – entspannen wie die Finnen». Hat alles: Ober- und Unterslogan, deppertes Wortspiel, unreinen Reim – Megaseller!
In der Saunaumkleide, ich möchte zwischendurch etwas aus dem Spind holen, treffe ich auf einen schildkrötig-schwerfälligen Mann von um die 70 Jahren. Beziehungsweise seinen uranusgroßen, mondbleichen Hintern. Er benutzt den Spind nebenan und zeitlupt diesen mit seinen Sachen voll. Ich warte seine Verrichtungen ab, schließlich sind wir erstens in der Sauna und zweitens sollte man sich sowieso stets fragen, ob man alle immer unter die Knute der eigenbedürfnislichen Pressanz zwingen sollte. Lieber überlege ich mir, dass es gar nicht so merkwürdig aussähe, hätte er über seinem kugelig-quadratischen Hinterteil von rindlicher Gemütlichkeit einen Ochsenschwanz baumeln. Als er mich bemerkt, schmunzelt er amorph und wälzelwalkt zur Seite.
Stunden später, alle Entspannung absolviert und geduscht, mache ich mich angelegentlich Ankleidung mit – weil Salzaufguss – babyzarter Haut auf in die Umkleide. Wieder steht der Lipophile zwischen mir und dem Spind. Wieder warte ich, schließlich ist jetzt Entspannungsfeierabend. Als er mich bemerkt, wiehert er geriatro-heiser los: «Aah-ha-ha, do is a ja wieder, da Nachbar…! :D» «Hh hh, ja ;)», entgegne ich. Für einen Mann seines Alters und Schlages bedeutete dies den Auftakt zu einer kleinen Plauderei, zu Small Talk, jedenfalls zum irgendwie gearteten Dialog. Das sehe ich aber gar nicht ein. Nackend mich mit Wildfremdos zu unterhalten! Ja logo. Eiswasserbeckig schweig’ ich und zieh mich an. Und denke über das onomatopoetische Problem nach, wie seine Lache schriftlich wiederzugeben wäre.

De profundis – das Facebbatical-Tagebuch (4)

05.07., Tag 8: Der Drogeriemarkt DM verkauft braune Socken namens «fascino». «Fascismo, höhö», denke ich, nicht zuletzt von der Farbe beeinflusst. Eine liebe italienische Freundin klärt mich allerdings auf, «fascino» hieße zu Deutsch «Charme»; was leider den schönen Witz zerstört. Aber halt!, denn wie sie nachreicht, könne «fascino» auch als Diminutivum von, und jetzt wird’s wieder lustig: «fascio» gelesen werden, dem Rutenbündel als Symbol Roms und, womit wir wieder beim Thema wären, der Faschisten/des fascismo. Q.E.D.
(Zusatzwitz, mit Dank an M. für den Denkanstoß: Warum verkauft die Nazi-Marke Thor Steinar kaum Socken? Weil sie sie nur in Einheitsgröße 33–45 führt!)

06.07., Tag 9: Morgens in der Eisenbahn verrutscht der Fahrkartenkontrolleurin ein n: «Gut’ Morgen, die Fahrkarte bitte…n

07.07., Tag 10: Die deutsche Abkürzung des Fußballweltverbandes FIFA wäre übrigens IVAF, die englische IFAF. Hieße die FIFA tatsächlich IVAF/IFAF, man hätte die ISAF-Mission damals schon anders bezeichnen müssen.

08.07., Tag 11: «Extremst» (so der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates) Bock, auf Facebook/Twitter hart abzuliken/-faven und den Drukomat anzuwerfen. Eiserne Selbstdisziplin. Abends Schnaps.

De profundis – das Facebbatical-Tagebuch (3)

02.07., Tag 5: Eine wie traurige Tätigkeit das Verfassen von web.de- oder gmx-Newslettern sein muss. Freut sich eine da zumindest, wenn sie jemandem zu billigerem Strom verhilft?

03.07., Tag 6: Den ganzen Tag von einer Frage umgetrieben: Ob jemand bemerkt, dass es sich beim Titel der Wortspielrubrik meines Blogs «Salon du Fromage», dem «Briegarten», selbst um ein Wortspiel handelt? Oder springt das allen sofort ins Auge? Oder was dazwischen oder so ähnlich? Schwer zu sagen. Abends Schnaps.

04.07., Tag 7: Per U-Bahn-Infoscreen informieren mich die T-Online News, die Polizei habe Videos zur Fahndung nach Ex-RAF-Mitgliedern veröffentlicht. Endlich also widmet man sich von professioneller Seite der Frage: «Wo ist die RAF, wenn man sie mal braucht?»

De profundis – das Facebbatical-Tagebuch (2)

01.07., Tag 4: Freund Josef Vitzthum legt gestern Abend in der Nürnberger Weinerei seine Lieblingshits aus Progressive Rock und Anverwandtem auf. «Der macht ja gar nix!», denke ich, als ich ankomme, die Musik munter läuft, Josef aber vorm Lokal steht, sich unterhält und raucht. Dabei hat der Hundling sich alles einfach vorher schon ausgedacht und zurechtgelegt, will sagen: den Laptop mit der fertigen Playlist eingestöpselt und dann Hände vom Lenkrad. Nur die Nebelmaschine, die muss er von Hand bedienen (und hat sich auch schon überlegt, wann er sie betätigt!). Wegen welcher ich mir beim Eintreten schon wie ins Ministrantische zurückgeworfen vorkomme, wiegt doch der Nebel das Lokal sakral in Weihrauchduft. Derart ins schon Soteriologische entrückt, hätte der scène Slayers «Disciple» gut auf die Register gepasst. (Man möge freilich einwenden: «He! Jetzt rückst du erst die Ministrant_innen ins Bild und jubelst uns dann heimlich mit den Disciples die Jünger unter! Das ist unlautere Textproduktion!» – «Na und? Erstens setze ich die Spatzenkinder der Motive auf die Äste meines Tagebuchstamms, wie ich will, und zweitens: Her mit einem vorspielbaren Lied über/namens ‹Acolytes›!»)

Die Playlist ist jedoch nicht am Sinai in Steintafeln gehauen worden, im Gegenteil: Flexibel und dynamisch reagiert Josef, der von sich selbst behauptet, mit zunehmendem Alter Flexibilität und Dynamik zu verlieren, praktisch seismographisch auf atmosphärische Änderungen («He! Seismographie und Atmosphäre geht gar nicht zusammen!»), die sich per Nebel in Wände und Boden übertragen («Was passt hier nicht?»), und hebt den Songscheibletten ggf. behend Unvorhergesehenes zwischen. Auf meinen während eines Lou Reed-Stücks plötzlich entstandenen und sogleich kundgetanen Bock hin, Faith No Mores «Motherfucker» hören zu wollen, lupft Josef die Tortenböden auseinander, um diese Sahneschicht noch einzustreichen. Vorbildlich! (Im Nachhinein weiß ich allerdings gar nicht mehr, ob er dem Bedürfnis entsprach, da ich nachfolgend einige Zigarettenlängen draußen stand. Aber was zählt, ist ja allein ein guter Wille!) Den Wunsch irgend eines Typen, den überhaupt kein Mensch kennt, hingegen pariert er mit elysisch-erhabenem, Quatsch: Arretiertheit vorspielendem: «Aah, die Playlist steht leider schon fest!» Vorbildlich!

Jetzt breche ich aber ab, gehe, es geht, Black Sabbath grüßen von der letzten Platte, auf 13 Uhr zu, in die Küche und frühstücke Disharmüsli und trinke Kakaophonie.

De profundis – das Facebbatical-Tagebuch (1)

Vom 28.06. bis 21.07. legte ich ein Facebbatical, d.h. eine FB- und Twitterpause, ein. Nicht faul allerdings, führte ich in dieser Zeit Tagebuch, welches ich in den kommenden Tagen peu à peu veröffentliche. (Notabene: Manches, was ich da zusammenschrieb, kapiere ich selber schon nicht mehr vollumfänglich.)

28.06., Tag 1:
Vormittags Besuch der Filiale des Nürnberger Bäckers, von der ich letztens den Toilettencode auf Facebook teilte. Heute frage ich gar nicht danach; erstens muss ich nicht, zweitens kann ich, Altruist der ich bin, ihn nicht in den sozialen Medien teilen.

29.06., Tag 2: Ein Mibi dreht Leuchtstoffröhren bzw. «Leuchtstäbe», wenn sie nicht mehr richtig zünden, erstmal in der Fassung um, «vielleicht gehen sie dann ja nochmal ein bisschen besser!» Solches Technikverständnis finde ich süß, nachgerade putzig, und ich komme mir als in solchen Fällen eisenhart-gnadenlosem Rausschraub-und-Wegschmeißer grob und unwirsch vor.

30.06., Tag 3: Der lokale Veranstaltungsanzeiger vermeldet: «14.00 Opernhaus: Sonderführung ‹Hitler im Opernhaus›, zur Ausstellung ‹Hitler.Macht.Oper› im Doku-Zentrum Reichsparteitagsgelände». Floris Biskamp hätte wohl seine Freude dran (keineswegs doch die, welche AfDlern und sonstigen Nazis enttäuscht wird, wenn’s nun eben nicht wieder ein Opernhüttl, unweit notabene neben dem Hotel Deutscher Hof, wo NSeinerzeit Soldaten von Hitlers «Führung» (Opernhaus) am balkonierenden Führer höchstselbst vorbeiparadierten, gibt) – ach, von vorn: Floris Biskamp hätte da und dort und hier seine Freude gehabt, im Opernhaus, im Doku-Zentrum, vor allem aber und inniglichst am Ausstellungstitel. Und wie ich ihm den drunterkommentiert hätte, heissa!, da wär’ wieder was losgewesen! Ich hingegenlichst bescheide mich mit hiesiger Niederschrift.