Gestern wurde der Dichter Max Goldt 60 Jahre alt. Anlässlich seiner letztjährigen Nürnberger Lesung am 29.12.17 hatte ich hier eine kleine Hommage an Goldt veröffentlicht. Darin hatte ich unter anderem angemerkt, Goldt jährlich ‹zwischen den Jahren› lesen zu sehen, sei «mittlerweile zur süßen Gewohnheit geworden wie der alljährliche grippale Infekt nach den Weihnachtsfeiertagen – der dieses Jahr allerdings, ‹toi toi toi›, erfreulicherweise ausblieb.» Leider jedoch hatte das «toi, toi, toi» überhaupt nicht geholfen, und so war ich wenige Tage später von einem solchen Infekt heimgesucht worden– und nicht nur von einem! In der Folgezeit «war ich so erkältungsanfällig [gewesen], daß ich manchmal sogar die Schnittmenge zweier Erkältungen erlebt [hatte] – die Nachwirkungen der gerade zurückliegenden [hatten] sich mit den Vorboten einer kommenden [überlappt].» (Max Goldt: Über kaltes Duschen)
Was ich nach überstandenem Erkältungsquartal jedoch nicht getan hatte, war, mir ganzjähriges kaltes Duschen anzugewöhnen, wie Goldt es im zitierten Text aus Gesundheits- wie aus Energiespargründen empfiehlt. Freilich ist es sommers ganz und gar erquickend, sich während Hitzeperioden morgens und abends und auch mal dazwischen eiskalt abzubrausen, aber im hiesigen Badezimmer ist es zur Winterreifenzeit von O bis O, d.h. von Oktober bis Ostern, so ungemütlich, ich müsste schon strenggläubig sein, um mich der Selbstkasteiung ausschließlich kalten Duschens auszusetzen.
Aber man muss Goldt, so wohlbegründet seine Empfehlung sein mag, ja auch nicht alles nachmachen. Wie man ihm, wenngleich er ein Autor mit vergleichsweise sehr hohem Volumenanteil wahren, zustimmungswürdigen Inhalts ist, auch nicht immer alles zu glauben braucht. So etwa die Behauptung am Ende des zitierten Textes. Dort schreibt er nach der Bemerkung, wohl habe er gehört, dass Männer mitunter als Warmduscher beschimpft würden, nie aber habe er gehört, dass einer Frau mit dem Schmähwort Warmduscherin «die Lebenszähigkeit» abgesprochen worden sei:
«Wie mancher weiß, bin ich ein Sammler noch nicht breitgetretener Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hier ist ein neuer, gewissermaßen allerletzter: Ein Mann wechselt mit dem Tode sein Geschlecht. Aus ‹der Mann› wird ‹die Leiche›. Frauen haben nicht unter dieser ungewollten grammatischen Todestranssexualität zu leiden.» (a.a.O.)
Ob Max Goldt bei jeder Lesung dieses Textes schwitzt über der Angst, jemand aus dem Publikum könne diesem Textende lauthals entgegenhalten, «die Frau» erführe diese Todestranssexualität durchaus, indem sie zu «dem Leichnam» werde? Und wenn der Einwand wirklich käme, wäre er ausreichend gewappnet, darauf so etwas zu erwidern wie, man müsse das halt dialektisch betrachten: «die Frau» behielte ihr Geschlecht als «die Leiche» und wechselte es als «der Leichnam», während es sich beim Mann umgekehrt verhalte und sich These und Antithese hie wie da nicht synthetisieren ließen?
Vielleicht plagt ihn diese Sorge bei solchen Gelegenheiten tatsächlich, wird aber von Goldts jahrelanger Kenntnis seines Publikums gemildert, wo nicht verdrängt, da dort kaum rotzfreche, vorlaute Leute rumsitzen, die sich entblöden würden, den «Leichnam»-Einwand auf die Bühne zu plärren. Weswegen Goldtlesungen auch stets so angenehm sind. Obzwar bei der letztjährigen Lesung vor Beginn erstmals Selfie-machende Couples bzw. «Pärchen» (Goldt) zu sehen waren. Ach ach!