(1) Es muss die Fußball-WM der Herren ’94 in den USA gewesen sein, ich demnach in der zweiten Klasse, als ich erstmals mit der Kampagne »Keine Macht den Drogen« der Bundesregierung konfrontiert wurde. Ihr einprägsamer Schriftzug in weißen Großbuchstaben über magentafarbenem Querbalken und vor schwarzem Hintergrund prägte sich mir ein: »KEINE MACHT DEN DROGEN«. Nur: Ich verstand nicht, was das bedeuten solle. Denn nach meiner »Lesart« war »MACHT« ein Verb, »KEINE« das Subjekt und »DEN DROGEN« – schlicht falsch! Denn Akkusativ bzw. »wen oder was?« von »Drogen« wäre ja eindeutig »DIE DROGEN«.
Bloß: Selbst wenn dort gestanden hätte »KEINE MACHT DIE DROGEN« – das wäre zwar (nach meiner Lesart) grammatisch richtig gewesen, aber semantisch hätte es kaum was gebracht. Ich konnte mit diesem Slogan so oder so nichts anfangen, seine Bedeutung blieb mir verwehrt. Aber ja mei, manchmal stehst halt aufm Schlauch, nicht wahr. Jemanden zu fragen traute ich mich nicht; und das war wohl auch besser so, denn da hätte ich in der kleingeistigen Provinz ganz schön dumm ausgeschaut, wenn ich mich mit dieser Stupidität geoffenbart hätte.
Bis mir eines Tages – ich kann ihn zeitlich leider überhaupt nicht eingrenzen, auch nicht durch eine Fußball-WM – plötzlich der imperativische Modus der Aussage klar wurde und ich verstund: den Drogen solle keine Macht eingeräumt werden. Na sauber!, dachte ich, das ist ja auch nicht viel besser als das ewige genäselte »Drogen sind schlimm, Kinder, mmkay, nehmt keine Drogen, mmkay!« des Schulpsychologen Mr. Mackay aus »South Park«.
Die Kampagne jedenfalls, so weiß Wikipedia, verfehlte ihre Ziele krachend, von Drogen hielt sie offenbar kaum jemanden ab, die Leute gewährten ihnen weiterhin Macht nach Lust und Laune. Aber ob es außer mir noch andere gab, die eine solch desolate, ja desaströse Lese- und Interpretationsfehlleistung hinlegten?
(2) An der Bushalte, es dürfte Frühjahr/Sommer/Herbst der dritten oder vierten Klasse gewesen sein, warteten wir am frühen Nachmittag auf Herrn Weinzierl mit seinem kleinen Gemeindeschulbus, um zum Nachmittagssport gefahren zu werden. Jedes Kind begrüßte ihn beim Einsteigen mit »Griaß Gohd, Herr Weinzierl!« und verabschiedete ihn beim Aussteigen mit »Pfüa Gohd, Herr Weinzierl!« – und zwar unironisch. Er war einer der Dorflandwirte mit Hof an der Dorfstraße, an die 60 Jahre alt und alles in allem eine großväterlich freundliche Respektsperson. Hochdeutsch sprechende Kinder, die »Grüß Gott!« und »Auf Wiedersehen!« gesagt hätten, gab es nicht. Wie ausgewachsene Beamt*innen stellten wir unsere Sportsackerl in einer Reihe zum Bordstein der Bushalte auf, und zwar in der Reihenfolge unseres Eintreffens. In dieser Reihenfolge stiegen wir dann in den Bus ein. Wer unter den ersten drei war, stand zwar womöglich unnötig lange an der Bushalte herum – Bushalte war aber eh meist eine Gaudi –, hatte allerdings Chancen auf einen der drei Sitze in der ersten Reihe, vorne beim »Bufffahrer«.
Idiotisch grobes Gedränge, Geschiebe, Gezerre und Gefluche beim Einsteigen, das gab es erst ab den weiterführenden Schulen. – Ach so, bevor ich mich hier in Allgemeinerinnerungen verfranse, ich wollte doch ein Bekenntnis aus einer sehr dummen Kindheit bekennen: Ich und zwei Mitschülerinnen (w/m), Mrs. und Mr. Oberschlau, stritten uns bei einer dieser Wartereien auf den Bus zum Nachmittagssport um irgendwas, ich weiß nicht mehr, was. Dabei verstand ich irgendeinen Ausdruck, den sie altgescheit benutzten, nicht. Ja mei, was soll ich sagen: manchmal stehst halt aufm Schlauch, nicht wahr. Die beiden sahen das nicht so und verspotteten mich als begriffsstutzig.
Und was soll ich sagen: Den Begriff »begriffsstutzig« verstand ich auch nicht. Ich hatte ihn noch nie zuvor gehört. Schon phonetisch war ich völlig auf dem falschen Dampfer: »bechriststutzig« war das Sinnvollste, was ich Ministrant mir zusammenreimen konnte – sie hatten den Ausdruck sehr schludrig-nachlässig ausgesprochen und noch einen dieser Milchzahnsprachfehler, die dann mit den Zweiten verschwinden –, aber auch das ergab keinen Sinn.
Der Streit war mittlerweile vergessen, jetzt lachten sie mich aus, weil ich den Begriff »begriffsstutzig« nicht kannte und nicht verstand. Immerhin begriffen sie nicht, dass ich mich durch die Begriffsstutzigkeit am Begriff »begriffsstutzig« – in Grundschuldiktion: als turbobegriffsstutzig erwiesen hatte.
Im Sportunterricht war alles wieder vergessen. Aber der Ausdruck »begriffsstutzig« ließ mich lange nicht los. Wiederum mochten Jahre in den Kalender gezogen sein, ehe sich mir seine Bedeutung erschloss.