Serienkritik: 1899

Ein Dampfschiff mit Migrant*innen verschiedenster Herkunft fährt von London nach New York. Unterwegs trifft eine Morsenachricht mit Koordinaten ein, die den Standort eines vor vier Monaten verschwundenen Dampfschiffs derselben Reederei anzeigen könnten. Der Kapitän lässt diese Position sogleich ansteuern, und ab dann passiert allerhand Mysteriöses und von den Figuren und/oder Zuschauer*innen nicht Begreifbares.

Leicht machte sie es mir nicht, die Netflix-Serie 2022 (1899) 1899 (2022). Legt sie doch nur sehr zäh und langwierig frei, was überhaupt Sache ist bzw. zu sein scheint. Natürlich ist solche Verbergerei spannungsfördernd; doch wenn ich auf Episode 4 von 8 schon fast keine Lust mehr habe, weil die Erzählung nach 150 von insgesamt 400 Minuten einfach noch nirgends zu Potte gekommen ist und keine Anstalten macht, das alsbald zu tun, ist der Geheimniskrämerei zu viel.

Die Showrunner Jantje Friese und Baran bo Odar ziehen den Plot unnötig in die Länge wie spätestens in der dritten Staffel ihrer Erfolgsserie Dark (2017–2020, Netflix). Hier wie da tauchen viele Elemente lähmend redundant auf. Statt aber ellenlang künstlich zu verzögern und mysterisieren, täte es hier wie da gut, die Geduld der Zuschauer*innen nicht so sehr über Gebühr zu strapazieren. Es wirkt, als habe man hier wie da einen Vertrag über eine bestimmte Serienlaufzeit gehabt und diesen dann notgedrungen ausgefüllt. Ganz und gar nicht geschadet hätte es hingegen zu sagen: »Ey, Leute, wir schaffen’s doch in 5 statt 8 Folgen! Hier habt ihr ⅜ des Budgets wieder. Thank us later. Und Serverspeicherplatz spart ihr auch! Schließlich sind wir Teil der ›Initiative ›100 Grüne Produktionen‹ des Arbeitskreises ›Green Shooting‹, die sich in Zusammenarbeit mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zu nachhaltiger Film- und Fernsehproduktion verpflichten‹ (Wikipedia).«

Problem in Bezug auf Dark ist bei 1899 auch, dass diese jener in Teilen der Geschichte frappierend ähnlich ist. So manche Handlungswendung bis hin zu Figurenäußerungen sind aus Dark bekannt. Umgangssprachlich, wie ich manchmal denke, dachte ich: »Prima, dass ihnen mit Dark so eine tolle und erfolgreiche Serie gelungen ist, aber hätten Friese und bo Odar die allergleiche Serie noch mal drehen müssen?« Zu wünschen wäre, dass sie beim nächsten Mystery-Projekt nicht Dark 3 machen. Doch ohnehin habe ich das Gefühl, Friese und bo Odar bleiben ein few hit wonder.

ABER DANN! Kommt 1899 – ich war schon froh, dass sie bald rum war – auf den allerletzten Meter mit einem exorbitanten Plottwist um die Ecke, der mich wirklich überraschte, und ich konnte nicht umhin zu denken: »Ah, jetzt muss ich in Staffel 2 zumindest reinschauen.« Denn gespannt bin ich wie ein Schiffstau, wie das jetzt weitergeht.

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